China ist mitverantwortlich für die russische Abenteuerlust

China ist mitverantwortlich für die russische Abenteuerlust

Die Tagespost
Interview mit Thomas Eder
13.3.2022

Die Partnerschaft zu China wird für Russland immer existenzieller, meint der China-Experte Thomas Eder im Interview. Und China immer mehr zum systemischen Rivalen des Westens.

Herr Eder,  als im UN-Sicherheitsrat über eine Verurteilung des russischen Angriffes auf die Ukraine abgestimmt wurde, zählte China zu den 35 Staaten, die sich enthalten haben. Der chinesische Außenminister Wang Yi hat Anfang dieser Woche noch einmal die Partnerschaft seines Landes zu Russland bekräftigt. Gleichzeitig wird darüber spekuliert, ob China nicht eine Vermittlerrolle übernehmen könnte. Besteht die Gefahr, dass China sich hier als „Friedensmacht“ inszenieren kann und damit zum eigentlichen Profiteur dieses Krieges wird?

"Es geht nicht, dass China sich auf vermeintliche Prinzipien
seiner Außenpolitik wie die Souveränität
der Nationalstaaten beruft, diese dann
gegenüber der Ukraine aber außer Acht lässt"

China ist mitverantwortlich für die russische Abenteuerlust. Das muss es sich vom Westen vorwerfen lassen. Und der Westen darf nicht zulassen, dass China aus dieser Verantwortung entlassen wird. Es geht eben nicht, dass China sich auf vermeintliche Prinzipien seiner Außenpolitik wie die Souveränität der Nationalstaaten beruft, diese dann gegenüber der Ukraine aber außer Acht lässt. Das muss der Westen noch deutlicher formulieren. Wenn der Krieg weitergeht, könnte es aber auch sein, dass von der Ukraine selbst China als möglicher Vermittler ins Spiel gebracht wird. Sollte so eine Vermittlung dann tatsächlich erfolgreich sein, wird man Peking diesen Propagandaerfolg wohl zubilligen müssen.

Sie sprechen von den vermeintlichen Prinzipien, die China vertritt. Nach welchen Prinzipien gibt denn China vor, seine Außenpolitik auszurichten und wie sieht es in der Realität aus?

China betont stark die absolute Souveränität der einzelnen Nationalstaaten. Damit verbunden ist das Prinzip der absoluten Nichteinmischung. Nur hat sich China selbst nicht immer unbedingt daran gehalten. So hat Peking etwa in maoistischer Zeit Revolutionsbewegungen in diversen Staaten unterstützt. Und auch jetzt versucht China, Einfluss auf die Politik der westlichen Staaten zu nehmen und dort die öffentliche Meinung zu beeinflussen, etwa durch die Konfuzius-Institute.

Während des Kalten Krieges galt das Verhältnis zwischen der Sowjetunion und China als gespannt. Beide Länder konkurrierten miteinander um den Status der kommunistischen Leitnation. Wie hat sich das Verhältnis zwischen Russland und China seitdem entwickelt?

Nach dem Kalten Krieg suchte Russland für kurze Zeit Anschluss an den Westen. Etwa zur Zeit des ersten Tschetschenienkrieges Mitte der 90er Jahre war aber Russland zunehmend vom Westen enttäuscht und suchte nach Alternativen. Und so wurde die Kooperation mit Peking attraktiv. 1996 gingen beide Länder eine „strategische Partnerschaft“ ein. Ein weiterer Punkt war die Verurteilung des NATO-Eingriffs 1999 im Kosovo durch China. Vertieft wurde die Zusammenarbeit schließlich 2001 durch einen Freundschaftsvertrag. Eine weitere wichtige Rolle spielt die gemeinsame Mitgliedschaft in der Shanghai Corporation Organisation (SCO; Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit). Diese Organisation, die ihren Hauptsitz in Peking hat, ist eine Fortentwicklung des Bündnisses der „Shanghai Five“, das sich bereits 1996 gebildet hatte. Ihr gehören außerdem noch Indien, Kasachstan, Kirgisistan, Pakistan, Tadschikistan und Usbekistan an. Die SCO kümmert sich vor allem um die sicherheitspolitische Zusammenarbeit und Wirtschafts- und Handelsfragen.

Seit wann ist China der dominante Teil dieser Partnerschaft?

"Russland hat sich isoliert und bombardiert
seine Brücken zu den anderen Staaten"

China hat sich nach dem Kalten Krieg wirtschaftlich vollkommen anders entwickelt als Russland. Die chinesische Wirtschaft ist ganz im Gegenteil zu der russischen sprunghaft und um ein Vielfaches angewachsen. Schon während der globalen Wirtschaftskrise 2008 hat China Russland massiv finanziell ausgeholfen. Damals wurden sehr große Öl-Deals abgeschlossen. China musste nur darauf warten, dass so eine Situation wie jetzt eintritt: Russland hat sich isoliert und bombardiert seine Brücken zu den anderen Staaten. Die eigenen Manöver haben Russland in eine Alternativlosigkeit zur Partnerschaft zu China gebracht. Und auch wirtschaftlich erweist sich China als eine Art Lebensretter Russlands: Schon kurz vor dem Ausbruch des Krieges wurde vereinbart, dass Weizenimporte aus Russland wieder erlaubt sind. Vorher hatte China aus Sorge vor Schädlingen ein Verbot verhängt. Russland hat so einen wahrscheinlichen neuen Abnehmer. Denn die Lebensmittelversorgung in China ist durch den Ausfall des wichtigen ukrainischen Partners durchaus verunsichert.

Wie kann der Westen darauf reagieren?

Wenn der aktuelle Konflikt zu einer Schwächung des Westens führte, würde das China in die Hände spielen. So sieht es aber im Moment nicht aus. Es kommt darauf an, wie lange der Konflikt dauert. China könnte, weil es den selbst gesetzten Prinzipien in seiner Politik nicht folgt, an Glaubwürdigkeit verlieren. Anderseits könnte der Westen, wenn er weiter so zusammensteht, als feste Einheit auftreten. Und diese Einheit muss der Westen dann auch im indopazifischen Raum zeigen.

Also etwa auch mit Blick auf Taiwan. Hat sich die Bedrohung des Existenzrechtes des Inselstaates durch die aktuelle Situation verschärft?

China verfolgt hier eine eigene Politik. Die Position Chinas gegenüber Taiwan ist eine andere als die von Russland gegenüber der Ukraine. Der aktuelle Konflikt hat also nur einen begrenzten Einfluss auf diese Situation. Man muss hier auch die militärische Logistik betrachten: Die chinesische Armee ist nicht so kampferprobt wie die russische und müsste eine sehr schwierige amphibische Landeoperation durchführen, um die Insel Taiwan einzunehmen. Trotzdem kann von der aktuellen Lage China abgeschreckt werden: Wenn sich zeigt, dass auch eine militärische Großmacht nicht ohne Konsequenzen einen kleineren Staat angreifen kann. Xi Jinping setzt vor allem darauf, dass in China die Wirtschaft immer weiter wächst und der Wohlstand breiter verteilt werden kann. Dieses Ziel wird er zumindest auf kurze Sicht nicht durch eine drohende Isolation gefährden wollen.

Wie sehr wird die Rolle, die China jetzt spielt, das Verhältnis des Landes zum Westen verändern?

Bisher galt immer mit Blick auf China der Dreiklang: Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale. Nun tritt der letzte Punkt immer mehr in den Vordergrund. Es besteht eine globale Systemkonkurrenz zwischen autokratischen und demokratische Staaten. Es ist die Hauptaufgabe der EU und der USA, vor diesem Hintergrund ihre Zusammenarbeit zu koordinieren. Die Biden-Administration ist hier sehr klar. Und auch Europa ist aufgewacht.