Frontex – das Symbol einer scheiternden EU-Grenzpolitik

Frontex – das Symbol einer scheiternden EU-Grenzpolitik

Frontex – das Symbol einer scheiternden EU-Grenzpolitik

Saskia Stachowitsch, Clemens Binder
21. August 2019


Im Gastkommentar erläutern Saskia Stachowitsch und Clemens Binder vom Österreichischen Institut für Internationale Politik die Probleme der EU-Grenzschutzagentur Frontex und was nötig wäre, wollte die Europäische Union einen kooperativen Grenzschutz.

Anfang August erhoben das ARD-Politikmagazin Report München, der britische Guardian und das Recherchezentrum Correctiv massive Vorwürfe gegenüber der EU-Grenzschutzagentur Frontex: Nicht nur sollen Frontex-Beamte Menschenrechtsverletzungen durch nationale Grenzwachbeamte toleriert haben, im Rahmen von Abschiebeflügen sollen sie auch selbst Grundrechte missachtet haben. Die Vorwürfe beziehen sich auf interne Dokumente, Frontex selbst dementiert: Man achte selbstverständlich Menschen- und Grundrechte, es gebe einen eigenen Beschwerdemechanismus, um die Verletzung dieser zu melden, man könne aber nationale Grenzwachbeamte nicht kontrollieren.

Macht und Ressourcen

Diese Reaktion ist zwar teilweise legitim und verständlich, die Anschuldigungen werfen dennoch ein schlechtes Licht auf eine Institution, die in den letzten Jahren massiv an Bedeutung und Einfluss gewonnen hat. Seit der Gründung 2004 mit der Aufgabe, den Außengrenzschutz der EU zu koordinieren und zu verbessern, hat Frontex kontinuierlich, aber insbesondere im Zuge der sogenannten Migrationskrise 2015, mehr Macht und Ressourcen erhalten.

Zwei große Reformen des Mandats, 2016 und 2019, statteten die Agentur mit zusätzlichen Kompetenzen wie die Initiierung von Rückführungen aus. Bis 2027 soll die Agentur 10.000 Mitarbeiter haben. Zusätzlich wurde das Instrumentarium massiv erweitert – etwa durch das millionenschwere Überwachungsprogramm Eurosur. Neu ist auch die Kompetenz, außerhalb der EU tätig werden zu dürfen – wie seit Frühjahr 2019 in Albanien.

Politisches Kalkül

Der Ruf nach einer Ausweitung von Frontex dient vielen Politikern als einfache Antwort auf die komplexen Fragen der Migrations- und Flüchtlingspolitik. Frontex steht im Zentrum dieser Politik und ist damit auch ein Symbol für europäische Grenzschutzpolitik – ob sie nun erfolgreich ist, oder scheitert.

Angesichts der Krisennarrative, die trotz der Stärkung von Frontex anhalten, wäre es einfach, vorschnell von einem Scheitern zu sprechen. Vor allem würde man damit ignorieren, dass nicht lediglich externe Faktoren die Grenzsicherheitspolitik der EU herausfordern, sondern die Politik der EU und einiger Mitgliedstaaten sowie die Praktiken von Frontex selbst zu den krisenhaften Zuständen an den Außengrenzen beigetragen haben.

Kein neues Phänomen

Die bereits angesprochenen Grundrechtsverletzungen sind kein neues Phänomen. Bereits zu Beginn der 2010er-Jahre stand Frontex im Verdacht, Boote mit Geflüchteten abzudrängen und dadurch ihren Tod in Kauf zu nehmen. Frontex unternahm zwar Bemühungen und formulierte 2011 eine Strategie, um Grundrechte stärker zu sichern, allerdings haben diese nach wie vor keine Priorität. Das Budget für das Grundrechtsbüro der Agentur war 2017 niedriger als die Ausgaben für Postsendungen und ist 2019 bei der Hälfte des Budgets der Öffentlichkeitsarbeit.

Auch die Reform der Grundrechtsstrategie liegt seit 2016 auf Eis. Durch die Ausweitung der Kompetenzen der Agentur im Bereich von Rückführungen oder Externalisierung muss die Einhaltung von Grundrechten allerdings absolute Priorität sein. Wenn das Ziel von Frontex ist, die EU-Grenzen auch außerhalb der EU zu schützen, muss sichergestellt sein, dass hier ebenso Grundrechte eingehalten werden. Mit Staaten wie Libyen oder Ägypten, die wiederholt für die Misshandlung von Migranten kritisiert wurden, zu kooperieren, zeigt, dass Menschenrechte der Politik der "Festung Europa" untergeordnet sind.

Politisches Kalkül

Am deutlichsten manifestieren sich die Probleme von Frontex an der humanitären Krise im Mittelmeer. Die Aktivitäten von Frontex im Bereich der Seenotrettung werden der Herausforderung nicht gerecht. Das zeigt ein Blick auf die Sicherheitsoperationen an den Außengrenzen: 2014 ersetzte die Frontex-Operation Triton die italienische Marinemission Mare Nostrum, deren Fokus auf Search and Rescue (SAR) lag, im zentralen Mittelmeer. Während Triton-Operation wurden humanitäre Aufgaben zugunsten von Überwachung reduziert, das Ergebnis waren steigende Todeszahlen im zentralen Mittelmeer.

Dies geschah nicht aufgrund mangelnder Ressourcen, sondern aus politischem Kalkül – bezeichneten doch mehrfach Politiker Frontex fälschlicherweise als "Schlepperorganisation". Daraus resultierte ein Fokus auf reine Überwachungsaufgaben und eine massive Reduktion der SAR-Missionen – und das Mittelmeer ist nach wie vor eine gefährliche Grenze für Migranten.

Defektes Asylsystem

Gleichzeitig greift der alleinige Fokus der Kritik auf Frontex zu kurz. Frontex trifft keine Schuld am defekten europäischen Asylsystem und der Renitenz einiger Staaten, einer gerechten Aufteilung von Migranten zuzustimmen. Frontex ist tatsächlich machtlos gegen die Grundrechtsverletzungen durch nationale Grenzsicherheitsbeamte wie sie in Ungarn oder Kroatien zu beobachten waren. Die Agentur schafft allerdings Strukturen, wo diese Verletzungen möglich werden.

Kontrolle und Sicherheit

Wenn kooperativer Grenzschutz tatsächlich das Ziel der EU sein sollte, muss dieser dringend reformiert und nicht lediglich durch zusätzliche Mittel verstärkt werden. Es braucht eine Abkehr von Vorstellungen der Grenze als "Abwehrlinie", hin zu einem Verständnis der Grenze als einer Zone von Kontrolle und Sicherheit – für alle. Dafür braucht es humanitäre Korridore und legale Einreisemöglichkeiten inklusive schneller Asylverfahren. In all dem müsste Frontex eine zentrale Rolle einnehmen und Kooperationen verstärken, etwa mit der EU-Asylbehörde Easo, um seine stets wachsenden Ressourcen und seine zunehmend zentrale Position zu legitimieren. Tut sie des nicht, droht die Agentur ein Symbol für eine gescheiterte Grenzsicherheitspolitik zu werden, welche ständig Krisen produziert und Unsicherheit für Migranten schafft.