Jihadist soll Anschlag in Wien in letzter Sekunde abgebrochen haben

Jihadist soll Anschlag in Wien in letzter Sekunde abgebrochen haben

Der Standard
20.9.2023
Daniela Pisoiu

Jihadist soll Anschlag in Wien in letzter Sekunde abgebrochen haben

Der 16-Jährige sitzt seit vergangener Woche in U-Haft. Er soll laut STANDARD-Informationen bereits mit einem Messer am Wiener Hauptbahnhof gewesen sein

Vor rund einer Woche machte sich ein Jugendlicher auf den Weg in Richtung Wien-Hauptbahnhof. Dort herrscht für gewöhnlich reger Betrieb. Der Bahnhof ist immerhin ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt für täglich 145.000 Menschen. Der 16-Jährige – zunächst war von einem 17-jährigen Jugendlichen berichtet worden – hatte aber nicht vor, in einen der ankommenden Züge einzusteigen oder schnell die nächste U-Bahn zu erwischen. Er soll fest dazu entschlossen gewesen sein, dort einen Anschlag zu verüben. Der Fall wurde am Wochenende öffentlich. Unbekannt blieb bisher die konkretere Planung, die wohl dahintergesteckt haben dürfte.

Der Österreicher mit türkischen Wurzeln gilt als Jihadist. Radikalisiert hat er sich laut Staatsschutz über das Internet. Bevor der Jugendliche den Bahnhof betreten habe, soll er ein Foto von sich in Tarnkleidung mit Kampfmesser und IS-Gruß in einer Chatgruppe gepostet haben. Samt Anschlagsdrohung, die er im Chat zwischenzeitlich zurückgezogen habe. Auf die angeblich inkriminierende Konversation wurden die heimischen Behörden erst durch einen Hinweis aufmerksam.

In der Station soll der 16-Jährige das Messer mit längerer Klinge dann aber sehr wohl bei sich getragen haben, offenbar mit einem Ziel: Der junge Mann habe geplant, mit einem feuerwerkskörperähnlichem Kracher für Unsicherheit unter den umherziehenden Passantinnen und Passanten zu sorgen, um dann mit dem Messer zuzustechen, wie der STANDARD aus Sicherheitskreisen erfuhr.

Letztlich habe er seine Pläne aber abgebrochen und habe in einer Moschee genächtigt. Tags darauf nahmen Wega-Beamte den Jugendlichen auf offener Straße fest. Das besagte Kampfmesser trug er bei sich. Der Jugendliche kam prompt in Untersuchungshaft. In seiner Polizeieinvernahme machte er laut dem Innenministerium aus seinen Anschlagsplänen kein Hehl. Seinen eigenen Tod hätte er dabei in Kauf genommen, sagte er aus. Das Messer für seine Pläne soll er sich erst kurz vor dem Bahnhofsbesuch zugelegt haben. Den Wiener Attentäter, der am 2. November 2020 in der Innenstadt vier Menschen erschoss und etliche weitere verletzte, zählte er laut Sicherheitsbehörden zu seinen Vorbildern.

Milieuzahlen unter Verschluss

In den vergangenen Monaten sorgten Jihadisten wie der 16-Jährige in Österreich wieder des Öfteren für Schlagzeilen. Ist das nur purer Zufall? Oder steckt da mehr dahinter? Und wie steht es um die Gefahr eines Anschlags durch radikalislamistischen Extremisten?

Das ist nicht einfach zu beantworten. Der oberste Staatsschützer Omar Haijawi-Pirchner betont zwar stets, dass der islamistische Extremismus sowie der Rechtsextremismus in Österreich eine gleich hohe Gefahr für Anschläge berge, das lässt sich für Außenstehende aber kaum überprüfen. Wie groß das Milieu der Jihadisten in Österreich ist, halten Innenministerium und Staatsschutz auf Nachfrage aus "ermittlungstaktischen" Gründen unter Verschluss. Die Zahl der Hochrisikogefährder wird auf 50 bis 60 geschätzt. Etwa die Hälfte davon befindet sich in Haft.

Unterschiedliche Intensitäten

Die jüngsten Fälle in Österreich weisen in ihrer Form zudem durchaus Unterschiede auf. Anfang September wurde etwa bekannt, dass Staatsschützer eine zehnköpfige Jihadistengruppe im Alter von 15 bis 23 Jahren in Oberösterreich ausgeforscht hatten. Die Verdächtigen sollen für die Terroristen des "Islamischen Staates" (IS) und des "Emirats Kaukasus" und deren Anliegen geworben haben. Von etwaigen Anschlagsplänen in Österreich durch diese Gruppe ist bisher nichts bekannt.

Anders gelagert war die Angelegenheit zweier Jugendlicher, 15 und 16 Jahre alt, aus dem steirischen Bruck an der Mur. Sie sollen einen Anschlag auf die Schule des Jüngeren der beiden geplant haben und hätten dabei alle Christen in einer Klasse erschießen wollen, so der Vorwurf. Die beiden seien über einen Freund auch beinahe an eine Maschinenpistole gekommen. Dafür fassten die Burschen Anfang Juli eine teilbedingte Haftstrafe von zwei Jahren aus. Auf die beiden wurden die heimischen Behörden durch einen Tipp niederländischer Ermittler aufmerksam. Sie waren auf Postings der Jugendlichen gestoßen, in denen es um Waffen und Sprengstoff ging.

Das erinnert ein Stück weit an den Fall dreier mutmaßlicher Jihadisten im Alter von 14, 17 und 20 Jahren, die im Juni einen Anschlag auf die Wiener Regenbogenparade geplant haben sollen. Auch hier lieferten Ermittler aus dem Ausland offenbar Hinweise, die auf Postings in geheimen Chatgruppen beruhen. Entscheidende Beweise für die Vorwürfe fehlen noch. Alle drei Verdächtigen sind längst wieder auf freiem Fuß. Auf dem Smartphone des Jüngsten von ihnen konnten acht Bombenbaupläne und reichlich IS-Propaganda sichergestellt werden.

"Jugendliche Amateure"

Daniela Pisoiu behält am Österreichischen Institut für Internationale Politik in Wien die heimischen Jihadisten im Blick. Aus ihrer Sicht sind diese Fälle keine "neue Welle des Jihadismus" – was in Sicherheitskreisen durchaus anders gesehen wird. Im Gegenteil, die Szene sei nach Einschätzung der Expertin in den vergangenen Jahren hierzulande eher kleiner geworden.

Auch das Niveau der Professionalität habe abgenommen. "Wir haben es jetzt mit jugendlichen Amateuren ohne militärische Ausbildung und ohne viel Kenntnisse hinsichtlich Ideologie und Religion zu tun", sagt Pisoiu. "In vielen Chatgruppen geht es sehr häufig darum, einen Status zu bekommen, in der Szene cool zu wirken, das lässt sich nicht mit früheren Anschlägen des IS vergleichen, die eine Zelle zuvor monatelang geplant hat."

Das heiße aber nicht, dass von der Szene keine Gefahr ausgehe. "Das kann heute so und morgen schon wieder anders sein, das ist schwer vorherzusehen", sagt Pisoiu. Der mutmaßliche Anschlagsplan des 16-jährigen Wieners passt aus ihrer Sicht aber jedenfalls ins Bild der IS-Propaganda. "Da ist es ja vorgesehen, dass alle etwas machen können, Hauptsache irgendetwas, um die Gesellschaft zu stören – und da geht es sehr oft um einfache Mittel wie Messer." (Jan Michael Marchart, 19.9.2023)