Das Comeback der IS-Jihad-Subkultur

Das Comeback der IS-Jihad-Subkultur

Der Standard
KOMMENTAR DER ANDEREN


Das Comeback der IS-Jihad-Subkultur
von Daniela Pisoiu

Frankreich hat im Kampf gegen den Terror einen Irrweg eingeschlagen. Pauschalisierende Urteile über den Islam bringen Terrororganisationen Zulauf

Wichtig wäre, die Bedrohung früh zu erkennen – und der Fokus auf Social Media, so die Extremismusforscherin Daniela Pisoiu im Gastkommentar nach dem Mord an einem Lehrer am Freitag in Conflans-Sainte-Honorine.

Frankreichs globaler Kampf gegen den jihadistischen Terrorismus ähnelt keinem in einem anderen europäischen Land. Frankreich hat sich nicht nur an Bombardements von IS-Stützpunkten in Syrien beteiligt, es liefert auch militärische Unterstützung für den Antiterrorkampf in der Sahelzone, wo Al-Kaida und der IS derzeit wieder an Boden gewinnen. Im Inland wurde vor einigen Jahren der klassische Antiterrorkampf der Polizei, Nachrichtendienste und Justiz durch eine "Antiradikalisierungskampagne" ergänzt, die staatliche und zivilgesellschaftliche Programme zur Prävention und Deradikalisierung schuf.

Nun bezeichnen offizielle Quellen den jüngsten jihadistischen Mord an einem Lehrer in der Nähe von Paris als Angriff auf die Meinungsfreiheit und als "existenzielle Bedrohung". Erst Anfang des Monats stellte der französische Präsident eine Verbindung zwischen Terrorismus und sogenannten Parallelgesellschaften her und schlug ein Gesetz vor, um religiösen "Separatismus" zu unterbinden.

EU-Spitzenreiter bei Auslandskämpfern

Frankreichs Terrorproblem begann lange vor dem Anschlag auf das World Trade Center 2001. Es war bereits in den 90er-Jahren eng mit den Entwicklungen und Aktivitäten terroristischer Gruppen in Algerien und Marokko verwoben, resultierend aus der kolonialen Vergangenheit und den damit verbundenen Ressentiments in den ehemaligen Kolonien. Aufgrund der Tatsache, dass sich Al-Kaida geopolitisch fast exklusiv auf die USA fokussierte und sich Frankreich weigerte, trotz Nato-Partnerschaft an der US-Kampagne im Irak zu beteiligen, blieben dem Land große Terroranschläge in dieser Zeit erspart – im Gegensatz zu Spanien oder Großbritannien.

Mit dem Aufstieg des IS veränderte sich die Lage dramatisch. Frankreich wurde mit den Anschlägen am 13. November 2015 in Paris von der IS-Terrorkampagne in Europa am härtesten getroffen. Es ist heute Spitzenreiter in der EU-Statistik an Auslandskämpfern: Von rund 5.000 Personen, die sich dem IS aus Europa angeschlossen haben, stammen allein 1.700 aus Frankreich.

Harter Kern

Mit dem Sieg gegen den IS hat sich die Lage in Europa entspannt. Der IS konzentriert sich wie Al-Kaida auf andere Weltregionen. Heute sind in Europa nur sporadische Aktionen von Einzeltätern zu erwarten. Die ursprünglich starke Anhängerschaft des IS als eine "Jihadi cool"-Mode hatte in den letzten Jahren stark abgenommen, besonders durch den Niedergang der Organisation in Syrien und im Irak und ihrer beispiellosen Grausamkeit. Ein harter Kern der IS-Jihad-Subkultur besteht jedoch weiterhin und findet gerade wieder zu neuem Schwung in sozialen Medien. Das beweist auch das jüngste Attentat in der Kleinstadt Conflans-Sainte-Honorine, 35 Kilometer nordwestlich von Paris.

Unmittelbar nach der Tat postete der Attentäter ein Bild des Opfers auf Twitter und einen Bekennertext, wie man ihn in den letzten Jahren des IS öfters in Europa lesen und hören konnte. Auch der "Hund"-Appellativ erinnert an die berüchtigte Rede des österreichischen IS-Kaders Mohammed Mahmoud, als er 2015 vor laufender Kamera Geiseln erschoss und sich mit ähnlicher Wortwahl an die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wandte. Das Bild des Opfers zirkulierte daraufhin auf sämtlichen Telegram-Kanälen.

Propaganda in Social Media

In seiner Bemühung um Ruhm und Anerkennung bediente sich der Attentäter von Conflans-Sainte-Honorine also des Repertoires der IS-Jihad-Subkultur. Er übernahm nicht nur den Diskurs. Auch die Tatwaffe, die Inszenierung des Mordes und die Verbreitung auf sozialen Medien gehören zum Standardwerk islamistischer Einzeltäter. Sein Konto war bereits früher im Jahr wegen dem Posting einer Enthauptung auffällig geworden.

Auf Twitter werden weiterhin Aufrufe nach Vergeltung gegen Ungläubige gepostet, die sich über Mohammed lustig machen. Dort auch zu finden ist ein IS-Propagandavideo aus dem Jahr 2016, das konkrete Anweisungen zum Einsatz von Messern als Terrorwaffen gibt und als Lehrbeispiel eine Enthauptung zeigt. Der Vortragende ist ein prominentes IS-Mitglied, der eine zentrale Rolle in der Vorbereitung von IS-Anschlägen in Europa spielte. Er ist Franzose, spricht im Video Französisch und ist ehemaliger Soldat der Fremdenlegion. Er wird heute in Syrien vermutet, gemeinsam mit seiner französischen Frau. Am Wochenende waren die Posts noch online – trotz zahlreicher Appelle auf Twitter, die entsprechenden Konten zu deaktivieren.

Verkehrte Pauschalisierung

Wir erleben ein Comeback der IS-Jihad-Subkultur auf sozialen Medien, nachdem sie in den letzten Jahren von Twitter, Facebook und sogar Telegram verschwunden waren. Diese Entwicklung hat hochgefährliches Potenzial. Es wartet auf die passende Gelegenheit, um zuzuschlagen, wie die jüngste Auffrischung der Kontroverse um die Mohammed-Karikaturen, und um das Hauptziel des IS in Europa voranzutreiben: die Spaltung der Gesellschaft durch provozierte Stigmatisierung der Muslime.

Die Positionierung des offiziellen französischen Diskurses zum jüngsten Attentat ignoriert diese Entwicklung. Im schlimmsten Fall hilft sie dem jihadistischen Zweck. Mit jedem pauschalisierenden Urteil über den Islam und mit jeder polarisierenden Aussage über Muslime gewinnen Terrororganisationen Anhänger, gerade unter männlichen Jugendlichen, die sich unter Umständen beweisen wollen. Ein zentrales Element einer wirksamen Sicherheitsstrategie wäre aber eine akkurate und frühzeitige Erkennung der Bedrohung.

Der Kampf gegen den Terror muss weitergeführt werden, vor allem online. Es muss weiter gegen die menschenverachtende Ideologie, die dahinterstehenden Terrornetzwerke und Hassprediger rigoros vorgegangen werden. Aber ohne pauschalisierenden Fingerzeig in Richtung der sogenannten und als spalterisch angenommenen "Parallelgesellschaften".