Das ist unsere Union!

Das ist unsere Union!

Das ist unsere Union!

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

„Europa müsse kämpfen“, verkündeten Sie in Ihrer Rede zur Lage der Europäischen Union letzten September. Neue Verteidigungslinien, wachsender Wettbewerb und sich gegenseitig überlagernde geopolitische Spannungen scheinen unvermeidbar. Daher rufen Sie uns zum Kampf auf – doch wofür eigentlich?  Für unsere Werte und unsere Demokratien, so Ihre Antwort. Die Europäische Union versteht sich als Union der Menschenrechte, der Freiheit, der Demokratie, der Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit. Diese Werte bilden das Fundament unserer Identität – doch halten wir sie wirklich ein?

Ein kurzer Blick auf nur einige Mitgliedstaaten zeigt: Nein. In Ungarn baut die Regierung Orbán den Rechtsstaat weiter ab, beschneidet die Rechte der LGBTQ+-Community und untergräbt die Pressefreiheit. In der Slowakei stärkt Premier Fico seinen Einfluss auf Justiz und Medien und attackiert die Zivilgesellschaft. Selbst Deutschland, Gründungsmitglied der EU, schränkte zuletzt die Versammlungs- und Meinungsfreiheit bei pro-palästinensischen Protesten ein und setzte Polizei gegen friedliche Demonstrierende an.

Auch Bulgarien verbirgt strukturelle Probleme hinter einer demokratischen Fassade. Sieben Parlamentswahlen in fünf Jahren haben die Wahlbeteiligung von mittlerweile unter 50 % gedrückt, ohne politische Veränderungen zu schaffen. Am selben Tag, an dem Bulgarien grünes Licht für die Einführung des Euro erhielt, wurde der liberale Bürgermeister von Varna wegen mutmaßlicher Korruption verhaftet – und die EU schwieg, während Bürger:innen auf die Straße gingen, um die Rechtsstaatlichkeit zu verteidigen.

Diese Beispiele sind keine Einzelfälle, sondern Symptome einer größeren Krise. Europäische Integration ist ein fortlaufender Prozess, der nicht mit dem EU-Beitritt endet. Sind wir EU-Mitgliedstaaten wirklich die demokratischen Vorbilder, als die wir uns gerne sehen? Können wir von den Beitrittskandidaten verlangen, alle Regeln der Demokratie einzuhalten, wenn wir selbst doppelte Maßstäbe anlegen? Denn oft zeigen uns gerade ihre Bürger:innen, worauf es in einer Demokratie ankommt: nämlich auf Verantwortung, Mut und Tatkraft.

Demokratie lebt nur, wenn Menschen sie pflegen, verteidigen und durch Entscheidungen und Opfer stärken: wie die Ukrainer:innen, die  seit fast vier Jahren gegen die russische Aggression kämpfen oder die Demonstrierenden  in  Georgien, wo über 400 Menschen wegen ihres Engagements für faire Wahlen inhaftiert wurden. Darunter Journalist:innen wie Mzia Amaghlobeli, die nach ihrer Verurteilung einen  38-tägigen Hungerstreik durchgehalten hat –  eine von vielen, die für eine europäische Zukunft alles riskieren.

In Serbien wurde nach dem Einsturz des Bahnhofsdachs von Novi Sad, bei dem 16 Menschen starben, deutlich, dass Korruption Leben kostet. Der Gedanke „Es hätte jeden von uns treffen können“ brachte Studierende – auch außerhalb der EU in der Diaspora – auf die Straße für europäische Werte. Die Generation Z in Serbien riskiert so viel für Demokratie und Freiheit – ein Kontrast zu weiten Teilen der EU.  Hoffnung entstehen dort, wo der Glaube an die Demokratie auch in schwierigen Zeiten hochgehalten wird. Aber dafür braucht es Ihre Unterstützung!

Der Mut der Ukrainer:innen, Georgier:innen, Serb:innen und vieler anderer ist ein Weckruf: Europa darf seine Werte nicht länger nur aufzählen, sondern muss sie leben. Wenn Demokratie unser zentraler Wert ist, muss sie auch unsere zentrale Priorität sein – innerhalb und außerhalb der Union. Jedes Mal, wenn wir ihre Aushöhlung tolerieren, verraten wir unsere Grundsätze und jene, die ihre Hoffnungen in uns setzen. Wie können wir von anderen verlangen was wir selbst zu wenig verteidigen? Wenn wir die Demokratie vernachlässigen, verlieren wir Glaubwürdigkeit und Integrität.

Wenn wir uns selbst treu bleiben wollen als Union der Freiheit und Gerechtigkeit, darf Demokratie niemals zur Nebensache werden. Sie ist keine Nebensache für die jungen Menschen aus ganz Europa, die sich im Juni 2025 trotz Verbots in Budapest zur Pride versammelt haben, keine für die jungen Ukrainer:innen, die ihr Land verteidigen, und keine für die Georgier:innen und Serb:innen, die weiter demonstrieren.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, erlauben Sie uns, ihrer nächsten Rede zur Lage der Union vielleicht diesen Absatz hinzuzufügen:

„Die Europäische Union ist von Beispielen umgeben, die stetig daran erinnern, wie wichtig ihre Werte sind und was auf dem Spiel steht, wenn wir sie vernachlässigen. Wenn die Demokratie innerhalb unserer Union zu stottern beginnt, verliert auch das Streben nach Veränderung und demokratische Erneuerung um uns herum an Kraft. Richtig umgesetzt, stärkt sie uns alle und rückt die Demokratie dorthin zurück, wo sie hingehört – ganz oben auf die Tagesordnung. Demokratie ist unsere Identität. Wir schulden es den nächsten Generationen und jenen, die Teil der Europäischen Union werden wollen, unseren Werten treu zu bleiben und sie weiterzugeben. Wir dürfen sie nicht allein lassen. Wir, die Bürger:innen und Mitgliedstaaten der EU, müssen mit gutem Beispiel vorangehen – mit Worten, aber vor allem mit Taten. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, unsere Regionen, Rathäuser, Arbeitsplätze, Schulen und Küchen mit Hoffnung, Werten und vor allem mit Demokratie zu erfüllen!“

Dieser Op-Ed wurde von 18 jungen Menschen aus 13 europäischen Ländern im Rahmen der „Cres Summer School” 2025 (https://summerschool.oegfe.at) auf der kroatischen Insel Cres verfasst. Deutsche Übersetzung von Sophie Holler & Lara Wagner.

Autor:innen: Vlad Adamescu, Jon Avdija, Damir Dizdarević, Laura Constanze Füsselberger, Nuria González López, Sophie Holler, Marie Kinsky, Leona Knežević Mužić, Paula Oliver Llorente, Ani Natchkebia, Beatrice Pirri, Emila-Lilia Petrova, Theresa Rauch, Sara Tanakoska, Ioannis Voskidis, Lara Wagner, Isa Zuhrić

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