
Serbien: "Nervosität im Kern des Regimes"
Serbien: "Nervosität im Kern des Regimes"
zdf heute
6. September 2025
Proteste gegen Vučić-Regierung:Serbien: "Nervosität im Kern des Regimes"
Die Proteste in Serbien reißen auch nach zehn Monaten nicht ab, die Regierung greift immer härter durch. Balkan-Experte Vedran Džihić sieht zwei Szenarien für Serbiens Zukunft.
Bei neuen Protesten gegen die Regierung von Präsident Aleksandar Vučić in der nordserbischen Stadt Novi Sad ist es wieder zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten gekommen. Gendarmerie und Polizei setzten Tränengas, Schlagstöcke und Blendgranaten ein.
Seit November 2024 gehen vor allem junge Menschen auf die Straße gegen Korruption und Misswirtschaft. Auslöser: der Einsturz eines Bahnhofsvordachs in Novi Sad, bei dem 16 Menschen ums Leben kamen.
Welche Chancen die Proteste haben, analysiert Balkan-Experte Vedran Džihić vom Österreichischen Institut für internationale Politik bei ZDFheute live.
Sehen Sie das Interview auf zdf heute in voller Länge oder lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Džihić …
… über die Unterstützung des Protests in der Bevölkerung
Džihić beobachtet, dass die Regierung brutal Gewalt gegen die Demonstranten einsetze, mit Hilfe von Schlägertrupps und speziellen Einheiten der Polizei. In regierungsnahen Medien herrsche eine Stimmung, in der Gewalt geradezu herbeigerufen, gedroht und diffamiert werde. Es sei unterm Strich so, dass das staatliche Gewaltmonopol hier bewusst durch das Regime in ein Gewaltverteilungsmonopol umgewandelt werde, so Džihić.
Trotzdem forderten die Demonstranten immer wieder Rechtsstaatlichkeit und Neuwahlen ein. In Meinungsumfragen zeige sich klar, dass die Regierung rasant an Vertrauen verliere.
Seit 2017 ist Präsident Vučić an der Macht. Seitdem habe er es verstanden, sich als "Pragmatiker und ehrlicher Makler" zu präsentieren, so der Experte. Während der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 habe er etwa "sehr gut" mit der damaligen CDU-Kanzlerin Merkel zusammengearbeitet.
Die EU setze deshalb bei Serbien auf die "Stabilokratie", also Stabilität vor Demokratie. Mit Deals, zuletzt mit Lithium, halte man Vučić an der Macht, dafür würden europäische Werte und Normen geopfert. Hinzu kommt: Serbien unterhält enge Beziehungen zu Russland und China.
Man dürfte nicht vergessen, dass Serbien das einzige Land in Europa sei, dass keine Sanktionen gegen Russland eingeführt habe. Zudem treffe man sich regelmäßig mit Kremlchef Wladimir Putin. Dazu tätige China mittlerweile einen großen Teil seiner Investitionen nicht in der Europäischen Union, sondern in Serbien.
Konkret gehe es dabei um die Art und Weise, wie sie Staatlichkeit und Kontrolle in ihrem Land ausüben. Sollte die EU Vučić stärker kritisieren, würde er sich womöglich zunehmend Richtung China und Russland drehen, sagt Džihić.
… darüber, wie es in Serbien weitergehen könnte
Das Regime in Belgrad werde nicht mehr in der Lage sein, zum Status quo vom Oktober des letzten Jahres zurückzukehren, so Džihić.
Das führe dazu, dass die Proteste auch nicht von einem Tag auf den nächsten beendet würden: "Die Energie ist zu stark, Wut ist zu groß, Zorn ist zu groß." Die Menschen in Serbien hätten mehrheitlich ein anderes Bild von der Zukunft ihres Landes und dafür würden sie kämpfen. Jedoch sei offensichtlich, dass die Regierung nicht zurückweiche. Für den Experten ergeben sich daraus zwei Szenarien:
Szenario 1: Eskalation der Gewalt
Präsident Vučić geht brutaler gegen die Demonstrierenden vor. Damit würde sich Serbien in einen Polizeistaat verwandeln, "der nicht nur autoritär, sondern auch zuweilen und bisweilen diktatorisch agiert". Fraglich sei dabei, wie lange das Regime das durchziehen könne.
Szenario 2: Neuwahlen durch internationalen Druck
Die Europäische Union und damit auch Deutschland erhöhen den Druck auf Serbien, sodass Neuwahlen ausgerufen werden. EU und OSZE würden dann "ganz genau" beobachten, dass diese Wahlen fair und frei verlaufen.
Folgt Serbien dem zweiten und laut Džihić auch "notwendigen" Szenario, würde damit ein Prozess eröffnet, in dem Serbien "wieder in die Normalität zurückkehrt, die auch eine demokratische wird." Und die könne dann auch eine europäische sein.