Zu viel Symbolpolitik im Anti-Terror-Gesetz

Zu viel Symbolpolitik im Anti-Terror-Gesetz

Der Standard
Kommentar der anderen
12.5.2021

Im Regierungsprogramm heißt es, man wolle Strafrechtspolitik auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse machen. Evidenzbasierte Politik sieht aber anders aus.

Der neue Straftatbestand im Anti-Terror-Paket, der auf den "politischen Islam" abzielt, ist weder juristisch notwendig noch demokratisch vertretbar, sagen die Kriminalsoziologin Veronika Hofinger und die Extremismusforscherin Daniela Pisoiu im Gastkommentar. Gegen Extremismus müsse vielmehr präventiv vorgegangen werden.

Nach dem Anschlag vom 2. November 2020 kündigte die Regierung sehr rasch ein Anti-Terror-Paket an. Der erste Teil dieser Gesetzesnovelle wurde vor Weihnachten in die Begutachtung geschickt, noch bevor der Bericht der von der Regierung eingesetzten Untersuchungskommission fertiggestellt war. Viele Experten kritisieren die unbestimmten Gesetzesbegriffe, sprechen von "entbehrlichen" (OLG Wien), "nicht erforderlichen" (OGH) neuen Tatbeständen, von "massiven Grundrechtseingriffen", deren Funktion nicht erkennbar (Universität Innsbruck / Strafrecht), "unzweckmäßig" (Richtervereinigung) oder "entbehrlich" (Vereinigung der Staatsanwälte) sei.

Inzwischen liegt auch der Bericht der Untersuchungskommission vor: Das Problem sei nicht in fehlenden Befugnissen zu suchen, sondern im unzureichenden Informationsaustausch, in Organisationsproblemen und der Behördenkultur des Sicherheitsapparats. Die Expertenstellungnahmen wurden nun zwar in den Erläuterungen berücksichtigt, an den zentralen Punkten der Reform hält man jedoch fest. Man darf auch gespannt sein, welche Form der Präventivhaft oder "Maßnahme" für Terroristen noch geplant ist – der zweite Teil des Anti-Terror-Pakets liegt ja noch nicht vor.

Diffuses Konstrukt

Besonders umstritten ist der neue Straftatbestand, der "religiös motivierte extremistische Verbindungen" unter Strafe stellt und ganz klar auf den "politischen Islam" abzielt. Die Schaffung dieser Bestimmung macht die Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Bedrohungslage und der inneren Sicherheitspolitik der letzten Jahre deutlich.

Der BVT-Bericht 2019 identifiziert Täterprofile, die eine Bedrohung für Österreich und Europa darstellen, sowie deren ideologische Orientierung. Es handelte sich dabei um salafistisch-jihadistische Einzeltäter und Kleingruppen, die sich vor allem online radikalisieren. Ein besonderes Augenmerk sollte auf verurteilte Terroristen gelegt werden, die aus der Haft entlassen werden. Anstatt auf diese konkreten Bedrohungen zu reagieren, legte die Politik den Fokus auf ein diffuses Konstrukt, den "politischen Islam", unterstützt von "wissenschaftlichen" Gutachten, wonach dieser gefährlicher sei als Salafismus oder Jihadismus. Besonders dramatische Folgen hatte die Entscheidung am 21. Oktober 2020, alle Ressourcen für eine große Razzia gegen die islamistisch-legalistische Muslimbruderschaft einzusetzen und die Überwachung und Ansprache des späteren Attentäters hintanzustellen.

Ähnlich wie die große Mehrheit der Experten, die sich in der Begutachtung zu Wort meldeten, sieht auch der Bericht der Untersuchungskommission keinen Ergänzungsbedarf im Terrorismusstrafrecht oder bei Organisationstatbeständen. Diese seien bereits "ausgesprochen weit" ausgebaut worden und würden "alle erdenklichen Typen gefährlicher Gruppierungen" erfassen. Der Straftatbestand der "religiös motivierten extremistischen Verbindung" sei daher einerseits überflüssig, andererseits gebe es keinen sachlichen Grund (und damit verfassungsrechtliche Bedenken), religiös motivierten Extremismus strenger zu bestrafen als andere Formen des Extremismus.

Massive Persönlichkeitsrechtseingriffe

(Zu) hohe Erwartungen setzt man auch in die elektronische Überwachung von Personen, die aus einer Haft wegen eines Terrorismusdelikts bedingt entlassen werden. Derzeit kommt die elektronische Fußfessel als Vollzugsform zum Einsatz: Anstatt in der Justizanstalt kann eine Strafe auch im "elektronisch überwachten Hausarrest" verbüßt werden. Die Novelle sieht hier einen grundsätzlich neuen Anwendungsbereich der Fußfessel vor, der auch dann mit massiven Eingriffen in Persönlichkeitsrechte einhergeht, wenn die Kontrolle bei der Justiz angesiedelt ist. Es bleibt fraglich, wie dadurch die angestrebte "ständige Überwachung der Befolgung von Weisungen" erreicht werden soll, kann eine Fußfessel doch ausschließlich konkret festgelegte geografische Auflagen überwachen, andere Weisungen jedoch nicht.

Wie Fälle aus anderen Ländern zeigen, hindert eine Fußfessel Terroristen auch nicht daran, ein Attentat zu begehen. Die Überwachung mittels GPS wird jedenfalls viele Daten produzieren – dabei lag es im Falle des Wiener Attentats keineswegs an einem Mangel an Daten, sondern an der fehlenden Auswertung und dem nicht erfolgten Austausch. Es bleibt auch zu hoffen, dass die Fußfessel und die Möglichkeit der Probezeitverlängerung nicht dazu führen, dass Inhaftierte auf eine bedingte Entlassung unter diesen Umständen gänzlich verzichten. Damit würden nämlich sämtliche Möglichkeiten der Betreuung und Kontrolle, die derzeit im Rahmen einer bedingten Entlassung über Weisungen und Bewährungshilfe gegeben sind, wegfallen.

Pluspunkt Fallkonferenzen

Positiv zu erwähnen sind die geplanten Fallkonferenzen. Diese nachhaltig zu implementieren ist ebenso wie die Schaffung einer Koordinationsstelle im Strafvollzug wichtig, jedoch keine Frage des Strafrechts, sondern von Ressourcen und der (Neu-)Organisation von Abläufen. Solche Stellen und Foren gut aufzustellen, die Deradikalisierungsarbeit zu professionalisieren und das Risk-Assessment zu verbessern sind die essenziellen, aber auch mühsamen Lehren, die man aus dem Anschlag ziehen sollte.

Gegen Extremismus muss präventiv, im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen und gesamtstaatlichen Ansatzes, vorgegangen werden. Obwohl europaweiter Standard und prominent in der Österreichischen Strategie Extremismusprävention und Deradikalisierung erwähnt, fehlt dieser Ansatz im Anti-Terror-Paket. Stattdessen wird ein neuer Straftatbestand geschaffen, der weder juristisch notwendig noch demokratisch vertretbar ist – da Demokratie die Diskussion über alternative politische Konzepte, solange kein Umsturz des demokratischen Rechtsstaats angestrebt wird, aushalten kann und muss.