"EU-Erweiterung muss wiederbelebt werden"

"EU-Erweiterung muss wiederbelebt werden"

ZDFheute
5. Dezember 2022
Interview mit Vedran Dzihic

Auf dem EU-Balkan-Gipfel in Tirana wollen die Staats- und Regierungschefs dem Balkan ein Signal senden: "Ihr gehört zu uns!" Doch es braucht mehr als Worte, meint Vedran Dzihic.

ZDFheute: Markiert der Gipfel in Tirana den Neustart der EU-Balkan Beziehungen?

Vedran Dzihic: Eines ist ganz klar: Die EU hat in Bezug auf den Westbalkan in den letzten Jahren eher geschlafen. Mit dem Beginn des Krieges in der Ukraine hat sich die geopolitische und die regionale "Wetterlage" sehr stark verändert. Der Balkan ist bedeutsamer und wichtiger, er ist ein geopolitischer Marktplatz geworden, an dem nicht nur die Europäer ein Interesse haben, sondern auch Russen, Chinesen und andere. Und aus diesem Grund will die EU politische Signale aussenden. Man will diese Einflusssphäre des Westens absichern, und man will versuchen, damit auch Reformen zu stimulieren.

Dzihic: Die EU muss die Erweiterung wollen

ZDFheute: Der Kandidatenstatus hängt ja an erfolgreichen Reformen – gab es die?

Dzihic: Fortschritte gab es in einigen Staaten wie in Nordmazedonien – trotzdem gab es lange Zeit keine Bewegung seitens der EU.

Wenn aber Fortschritte erfolgen, wie auch teilweise in Albanien, dann müssen die Staaten belohnt werden mit dem nächsten konkreten Schritt. Für die Belohnung braucht es aber den politischen Willen. Man muss die Erweiterung tatsächlich wollen. Und dann braucht es auch weitere Anreizmechanismen für Reformen, sodass ein Land irgendwann tatsächlich zur Europäischen Union dazugehören kann.

Demokratische Reformen für EU-Beitritt wichtig

ZDFheute: Wie würde der Kandidatenstatus für Bosnien und Herzegowina gerechtfertigt, das ja seit Jahren auf der Stelle tritt?

Dzihic: Die "Belohnung" des Kandidatenstatus ist natürlich auf der Basis des Erreichten nicht gerechtfertigt. Es gab keine Reformen in den letzten Jahren, nur großen Stillstand, der sich dann in den letzten zwei Jahren zu einer großen politischen Krise auswuchs.

Nun ist aber ein anderer geopolitischer Zeitpunkt. Es haben Wahlen stattgefunden, das erste Mal seit Jahren könnte eine Koalition regieren, die die europäische Integration wieder in den Mittelpunkt stellt. Ich glaube, dass man das Momentum nutzen sollte. Diese Ermunterungstouren auch des deutschen Bundespräsidenten oder die Signale aus Berlin gehen ja auch in diese Richtung.

Es ist ein wichtiger Schritt, dass man sagt, wir wollen mit dem Kandidatenstatus die neuen, europafreundlichen Regierenden ermuntern. Wir wollen auch der Bevölkerung ein Signal geben, dass sie nicht allein gelassen wird.